Die Kommune Niederkaufungen – Ein politisches Lebensprojekt

Zusammenfassung: Vorgestellt wird die größte Kommune Deutschlands, die seit über zwanzig Jahren in Niederkaufungen bei Kassel zu Hause ist. Sie versteht sich als linkes alternatives Projekt, in dem Gütergemeinschaft, Konsensdemokratie und der unmittelbare Zusammenhang von Arbeit und Leben gelebt wird.


Zu Beginn der 80er Jahre debattierten in Hamburg einige Menschen – es war die Zeit der Friedensbewegung – darüber, wie sie sich ein alternatives Leben und Arbeiten vorstellen können. 1986 fanden sie in der Nähe von Kassel, in Niederkaufungen, einen alten Bauernhof, wo sie begannen ihre Vorstellungen zu in die konkrete Tat umzusetzen: «In Gefahr und größter Not bringt der Mittelweg den Tod!», so überschrieben sie ihr Grundsatzpapier, in dem sie die wesentlichen Vorstellungen für das Leben als Kommunarden festlegten, als Antwort auf die Analyse einer kapitalistischen Gesellschaft, die unser Leben regiert. Es ist eine Gesellschaft, so stellen die Kommunarden im Grundsatzpapier fest:

« in der die Verfügungsgewalt über Kapital, über Besitz und Produktionsmittel bei einigen wenigen liegt;

in der die, die das Kapital haben, es sichern, vermehren und damit Macht ausüben über andere Menschen, Einfluss nehmen können auf Recht und Gesetz, verfügen können über die Gesundheit, die Bildung, die Bedürfnisse und Beziehungen der Menschen;

in der die Menschen von denen, die das Kapital haben, abhängig sind und um zu überleben, lebenslängliche Ausbeutung ihrer Arbeitskraft, Gesundheit und Kreativität über sich ergehen lassen müssen;

in der entfremdete, oft sinnlose krankmachende, oft stupide Arbeit geleistet wird, Arbeit, die zwar einen Gegenwert erbringt, mit dem man aber nicht die ursprünglichen, sondern nur konsumorientierte, auch hier entfremdete Bedürfnisse abdecken kann;

in der die Menschen sich und anderen entfremdet sind – und das in allen Lebensbereichen und, obwohl sie sich teilweise der Lage ihrer Ausbeutung bewusst sind, nichts dagegen unternehmen …
 »


Und weiter heißt es: «Es kommt nicht zum Leid und zur Wut über unser Leben, um das wir betrogen werden, sondern zum Aufbau einer Scheinwelt, die uns für alles entschädigt und für die wir unsere Arbeitskraft verkaufen.»

Hier klingen Worte an, die aus der gewöhnlichen Presse längst verschwunden sind: «Entfremdung; Ausbeutung; Aufbau einer Scheinwelt», die aber genauer beschreiben, was ist, als es selbst mit einem heute gebräuchlichen Wort wie «prekäre Arbeitsverhältnisse» möglich ist.

Die Konsequenz ist für die Kommune Niederkaufungen, dass sie seit 1986 angefangen haben, eine «kollektive Vermögensökonomie» betreiben. Jeder Kommunarde bringt das, was er mit seiner Arbeit erwirtschaftet, was er erbt oder geschenkt bekommt, in die gemeinsame Kasse ein. Aus ihr können sich alle Kommunarden ihre Bedürfnisse erfüllen. Das bedeutet, dass alle Beträge über 150 Euro, die jemand entnehmen möchte, öffentlich als Ausgabe angekündigt werden müssen. Wenn nötig, diskutiert die Vollversammlung über die Vergabe des Geldes.

Dabei geht es der Kommune Niederkaufungen nicht darum, asketisch festzulegen, was jede und jeder verbrauchen darf, sondern jede und jeder soll entsprechend seinen Bedürfnissen leben können. Dazu heißt es im Grundsatzpapier:

« Wir wollen kein Projekt, in dem Versicht und Askese zum Maßstab erhoben werden. Wir wollen z. B. lieber pro Tag eine halbe Stunde länger arbeiten, oder Schulden 10 Jahre länger abzahlen, als von Anfang an eine Verzichtsideologie zu propagieren.

Wir wollen nicht, dass das Projekt entscheidet, was «echte» und was «kompensatorische» Bedürfnisse sind, welche erlaubt sind und welche nicht.

Toll wäre es, finanziell so dazustehen und Regelungen zu finden, dass jeder nach seinen Bedürfnissen Geld aus dem Topf nehmen könnte und nicht in gleichmacherischer Weise ein festes Taschengeld verordnet werden müsste.
 »


Im Wesentlichen sind die Vorgaben des Grundsatzpapiers bis heute gültig. Sie werden immer wieder an der Realität überprüft, aber an den Grundsätzen

gemeinsame Ökonomie
Konsensprinzip
ökologische Produktionsweisen
solidarischer Umgang miteinander
Abbau kleinfamiliärer Strukturen


hat sich seit über zwanzig Jahren nichts geändert, auch wenn inzwischen die Anzahl der Kommunarden auf über 70 Menschen angewachsen ist, über 50 Erwachsene, etwa je zur Hälfte Frauen und Männer, über 15 Kinder und Jugendliche. Sie leben in 10 Wohngruppen zusammen, zu denen auch eine Lesbengruppe gehört. Entscheidungen werden jede Woche in einem Plenum ausgehandelt, das ca. drei bis vier Stunden tagt. Darin enthalten sind Untergruppen, die Entscheidungen vorbereiten. Wenn eine Entscheidung getroffen wird, so wird sie erst im folgenden Plenum endgültig entschieden, so dass die einzelnen Kommunarden das Ergebnis auch noch einmal überdenken können.

Diese Form der Konsensbildung hat anscheinend mit weniger Schwierigkeiten zu kämpfen als die unterschiedlichen Formen des persönlichen Miteinanders, Sympathien und Antipathien untereinander sowie persönliche Konflikte. Es wird der Versuch gemacht, in einem sozialen Forum persönliche Begegnungsmöglichkeiten zu schaffen, die ermöglichen, einander besser kennen zu lernen. Für Konflikte selbst gibt es dann ein Gremium, in dem diese gemeinsam bearbeitet werden.

Im Bereich von Leben und Arbeiten wird angestrebt, produktive und reproduktive Bereiche gleichzustellen. So werden die Mahlzeiten um 8:00 Uhr, um 13:00 Uhr und um 18:00 Uhr gemeinsam eingenommen. Abwechselnd sind die Wohngruppen für die Zubereitung des Essens zuständig. Auch für das Spülen und Saubermachen danach gibt es klare Regelungen. Auch dies eine Möglichkeit, geschlechterspezifisches Rollenverhalten zu durchbrechen. Selbstverständlich engagieren sich auch Einzelpersonen und Gruppen bei verschiedenen Aktionen außerhalb der Kommune, z. B. in der Theatergruppe von attac-Kassel.

Wer die Gruppe kennen lernen will, kann dies an Informationsabenden oder anlässlich eines Hoffestes tun: Tel.: 05605 / 80070; Homepage: » https://www.kommune-niederkaufungen.de.

Inzwischen gibt es drei Filme und ein Buch, in denen die Kommune vorgestellt wird. Sie sind über die oben genannte Adresse zu erhalten.

Das zwanzigjährige Jubiläum dieses größten Kommuneprojekts in Deutschland stand unter einem Motto von Ernst Bloch:

«Nur jenes Erinnern ist fruchtbar, das zugleich erinnert, was noch zu tun ist.»


Hoffnungsgeschichte eingebracht von Hartmut Futterlieb 03.12.2007
Die Kommunebewegung in den 70er Jahren machte Hoffnung, dass den Tendenzen zum hemmungslosen Individualismus, die die kapitalistische Wirtschaftsform erzeugt, eine Gegenbewegung erwächst. Das hat sich insgesamt nicht durchsetzen können. Dennoch gibt es immer wieder neue Versuche, eine Gegenbewegung auch zu leben. Die Kommune Niederkaufungen ist ein solcher Versuch, der inzwischen auf eine Geschichte von 21 Jahren zurückblicken kann.

 

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