Wühlmäuse – Koreanische Fabel über die Macht der scheinbar Schwachen

Zusammenfassung: Ohnmächtige sind mächtig, nicht die scheinbar Mächtigen.


Entnommen aus: Duchrow, Ulrich, 1990, Lasst uns auch den Westen demokratisieren. Handlungsmöglichkeiten für Christen und andere im real existierenden Kapitalismus, Sonderdruck der Junge Kirche, Beilage zu Heft 2/Februar 1990, S. 45f.

« An einem Ort in Korea steht ein sehr großer Miruk-Stein. Der Mensch fühlt sich in seiner Gegenwart recht klein. Unter diesem großen Miruk-Stein wohnen viele Wühlmäuse. Die Erde dort ist gut, die Mäuse haben zahllose Gänge und Kammern in ihr gegraben. In einer dieser Kammern hatte eine Maus viele Kinder bekommen, und die Mäuseeltern waren liebevoll und glücklich. Ein einziges unter den Kindern war eine Tochter, diese war besonders zierlich und schön. Die Eltern meinten, ihre Tochter könnte nicht nur vom Wühlen in der Erde leben, und überlegten, wie sie das Töchterchen gut verheiraten könnten. Das Höchste sei die Sonne, meinte die Mutter, und sie wollte ihr Töchterchen nur dem Höchsten anvertrauen. Sie fragte die Sonne, ob sie bereit sei, ihre Tochter zu heiraten. Die Sonne aber sagte: «Sieh, ich bin nicht so mächtig, wie du annimmst, die Wolken haben Macht über mich, denn sie können mich verdunkeln.» Die Maus wandte sich an die Wolken «Wollt ihr meine Tochter heiraten, denn ihr seid die Mächtigsten.» Aber die Wolken sagten: «Oh nein, wir sind nicht mächtig, der Wind kann uns vor sich hertreiben, er ist der Mächtige.» Der Wind sagte: «Ja, ich kann alles vor mir hertreiben, nur die Steine nicht. Ich habe es versucht, umsonst. Die Steine sind mächtig. Diesen großen Miruk-Stein zum Beispiel, unter dem ihr eure Wohnung habt, den kann ich nicht vor mir hertreiben, ich kann ihn nicht einmal umkippen, Miruk ist stark, fragt also Miruk.» Miruk aber sagte: «Eure Wohnungen sind mein Standplatz, ihr seid es, die stark sind, ihr könnt die Erde unter mir aufwühlen, so dass ich umfallen muss, wenn ihr es wollt. Ich bin groß und sehe groß aus, aber ich kann umkippen, wenn ihr es wollt. Viele Mäuse leben unter mir, und wenn sie einseitig unter mir wühlen, dann werde ich umfallen. Die Mächtigen seid ihr, die unter mir wohnen!» Die Mäuseeltern waren sehr verwundert und erstaunt. Miruk hatte wahr gesprochen, sie waren mächtig! So verheirateten sie ihr schönes Töchterchen an einen guten Mäuserich.  »



Hoffnungsgeschichte eingebracht von Ulrich Duchrow 17.11.2007
In unserer Weltsituation scheint die Macht der Mächtigen unbesiegbar. Die Folge ist, dass nur eine Minorität Widerstand leistet, obwohl die Mehrheit der Menschen vom herrschenden System bedroht ist. Die Fabel veranschaulicht die subversive Macht der Ohnmächtigen und kann sie so befreien helfen, aktive Subjekte des Wandels zu werden.

 

Kommentar von Matthias Kaldenbach 29.11.2007
Ein interessantes Detail in der Fabel ist, dass die Wühlmäuse einseitig graben müssen, um den Stein umzuwerfen. Ein allgemeines, unkoordiniertes Gewühl würde den Stein nur tiefer sinken lassen und den Mäusen immer mehr Raum nehmen oder gar ihren Lebensraum ganz zerstören. Übersetzt hieße das für mich, dass die scheinbar Ohnmächtigen sich vernetzen müssen, um ihren Widerstand zielgerichtet zu koordinieren.

 

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